„Die Frau von der Krankengymnastik hat mit mir wieder ein bisschen geturnt, danach ging’s mir schon viel besser. Aber am Besten ist es, wenn ich mich einfach hinlegen kann und sie mich massiert, die nette Dame!“

Mit dem staatlich anerkannten Zertifikat, das einen als Physiotherapeut bezeichnet, starten viele junge Therapeuten zunächst in den ersten Praxisbetrieb. Hier werden Patienten im 20 Minuten Takt behandelt – abgearbeitet, wie am Fließband, nicht unbedingt mit der Anforderung bald auf Wiedersehen zu sagen!

Weitergeleite mit ärztlichen Diagnosen wie  z.B. LWS- Syndrom  (was ungefähr so viel bedeutet wie: “ Mir tut es in der Lendenwirbelsäule weh!“) Aber gut, der Halbgott in Weiß hat gesagt, mit ein bisschen Massage und Fango wird das schon wieder!

Und so kommt dann der Patient zum Therapeuten. Viele legen sich auch direkt in Bauchlage auf die Liege, Gesicht in den kleinen Schlitz versenkt und warten, das der Therapeut den Rücken dann wieder „heil“ massiert.

Auch mein Berufseinstieg vor über 10 Jahren sieht so aus! Als ich zu meinen ersten Patienten in den Raum komme, liegt „DA WO“ es wehtut oft direkt vor mir entblößt auf der Bank. Während ich also so vor mich „hinmassiere“, durchaus eingeschüchtert, denn der „Kunde ist doch König“, frage ich mich:

Weshalb habe ich in meiner Ausbildung überhaupt gelernt ursachen- und nicht einfach symptomorientiert zu untersuchen und behandeln? Auf meiner linken Schulter sitzt mein kleines strebsames Therapeuten ICH, das gerne den Patienten optimieren, genesen und befähigen möchte – auf der Rechten sitzt mein Chef, der gar nicht so unzufrieden damit ist, wenn mein Patient immer mal wieder mit einem 6er Rezept vorbeikommt, sei es nur für die Massage. „Auf Wiedersehen!“ ist von ihm durchaus erwünscht!

Aber wenn der Patient nun mal so da liegt – ich habe ja nur 20 Minuten. Also fange ich an, behandle und massiere mir die Finger wund. Abends habe ich geschwollene Daumen und bin fix und fertig. Nach nicht einmal einem halben Jahr bin ich total demotiviert, ausgebrannt – ist das ein erster Burn Out? Zudem frage ich mich, mache ich meine Arbeit denn nun gut?

Evidenzbasierte Therapie Was ist das eigentlich?

Ziel ist es, dem Patienten die derzeit sicherste und effektivste Behandlung zuteil werden zu lassen. Dabei versucht man den wissenschaftlich neusten (oder besser: „bestmöglich neusten“) Stand der aktuellen Forschung, die Wünsche des Patienten und die Erfahrung des Therapeuten mit in die Behandlung einfließen zu lassen. 

Das hört sich doch erstmal ganz gut an, oder? Nun will der Patient aber oft das „was gut tut“ und nicht unbedingt das was derzeit „wissenschaftlich evident“ als zielführend tituliert wird. Der „wissenschaftliche Trend“ geht derzeit weg von der Bank, hin zu aktiven Therapien. Weg von Therapeuten-Patienten Abhängigkeiten oder den „heilenden Händen“ des Therapeuten, hin zur Edukation (wenn Google und Youtube das nicht schon erledigt hat!) und zur Eigenwirksamkeit des Patienten. 

#HeilendeHände – Eminenz versus Evidenz

Nun gibt es unter uns Therapeuten aber immer noch diejenigen, die sich an der Bank festklammern, auf Hands-on und Patienten-Therapeuten Abhängigkeiten schwören (auch wenn sie das so nie bezeichnen würden!) und ausschließlich ihr „eminenzbasierten“ Wissen (manches von „anno dazumal“) anwenden! Mit Sätzen wie „das habe ich immer schon so gemacht“, oder „ich spüre ganz genau unter meinen Fingern“ was meinem Patient fehlt, halten sie fest an einst Gelerntem, ohne ihren Blick zu öffnen für neues Wissen. 

Kommen wir zurück zum Beginn dieses Beitrages. Natürlich möchte ich meinem Patienten was „Gutes tun“, und in unserem Praxisalltag geht es oft „heiß her“, es bleibt wenig Zeit für Veränderung. Wirklich? Oder ist es nur unsere Therapeuten – Bequemlichkeit, unser Ego (mit den Zauberhänden..), unsere tiefe Überzeugung alles Richtig zu machen, die uns nicht über den Tellerrand schauen lassen? 

„Wer auf der Stelle tritt, kann nur Sauerkraut fabrizieren!“ Peter Ustinov

Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, das Manuelle Lymphdrainage  (MLD) alleine nicht den Effekt erzielen kann, den es proklamiert! Ödemresorption und Schmerzlinderung sind auch (und sogar besser, effektiver und schneller!) mit anderen Maßnahmen möglich. Zum Beispiel eben solche, die den Patienten in die Aktivität bringen. Neben dem wissenschaftlichen Background, der nicht jeden Zweifler überzeugen kann (denn er „macht das ja schon immer so!“) helfen vielleicht folgende eiskalte Zahlen:

Vergütung der „besonderen Zauberleistung“

MLD ist eine erwünschte Zusatzqualifikation, die oft gefordert wird, wenn man sich als Therapeut auf eine Stelle bewirbt. Neben den teuren Ausbildungskosten stehen dann also noch etliche teure Weiterbildungskosten an, die offensichtlich unabdingbar sind im Berufsalltag! 

Um beim Beispiel MLD zu bleiben: Eine vierwöchige Vollzeitfortbildung in MLD kostet um die 1200 Euro. Teile dieser Fortbildungen sind bereits Bestandteil der Ausbildung zum Physiotherapeuten. Hat man das MLD Zertifikat dann endlich, nach stundenlangem „drainieren“ etlicher Körperteile, in der Hand wird man anschließend mit einer Vergütung von 0,854 Euro/Minute für diese „besondere Leistung“ schlechter bezahlt, als eine klassische Krankengymnastik (KG) mit 1,06 Euro/Minute – eine Leistung, die jeder Therapeut ohne jegliche Weiterbildung, nach absolviertem Staatsexamen anbieten kann! 

„Wie, mit welcher Technik kann ich denn nun noch mit gutem Gewissen behandeln?“ 

Aber jetzt nicht auf der MLD rumhacken! Da gibts ja auch noch andere kontroverse Techniken z.B. Vor- und Rücklauf Phänomene am Becken und ISG Blockaden, die dem geübten Physio sofort unter den Fingern entgegen springen – das Gelenk hat ein Bewegungsspiel von ca 3-5°. Nimm ruhig nochmal dein Winkelmesser zur Hand und frage dich dann, ob du diese Mini-Bewegung tatsächlich „unter der Hand“ spüren kannst?! Vielleicht liegt’s ja auch an mir und meinem fehlenden Einfühlungsvermögen!

An dieser Stelle fällt dir als aufmerksamen Leser hoffentlich auf, das ich hier nicht nur gegen die Ärzte hetze, sondern mich auch gegen meine eigene Berfusgruppe auflehne! Was ist das jetzt für ein Zwergenaufstand, fragen sich einige wahrscheinlich? 

Es gibt durchaus „Götter in Weiß“ die nicht in diese eine Schublade zu packen sind! Eingige  Ärzte-Exemplare können eine ordentliche Differentialdiagnostik durchzuführen (nicht nur (aber wenn nötig auch!) mit Bildgebung) , sich mit ihren Patienten auseinandersetzen (Lown 2004; Die verloren Kunst des Heilens) und nicht auf dem „Götterberg“ leben, sondern gerne auch in Kontakt mit anderen medizinischen Berufsgruppen (z.B. dem Physio) treten. 

Genauso gibt es die Physios, die sich durch meine Worte nicht (nur) angegriffen fühlen, sondern vielleicht ermutigt, über den Tellerrand zu schauen, oder bereit sind „Neues“ an sich ranzulassen!

Ich habe nicht studiert um „was Besseres“ zu sein! 

– das muss ich mir immer wieder von anderen Physiotherapeuten anhören (übrigens auch nicht, um mehr Geld zu verdienen!). Mein Anliegen ist es, nicht auf der Stelle zu treten, Neues zuzulassen und mich und meine Arbeit immer wieder zu hinterfragen. So behandle ich derzeit meine Patienten anders, wie ich es vor vielleicht 5 Jahren gemacht habe. Wer weiß, vielleicht komme ich auch wieder darauf zurück irgendwann. 

„Die Macht des Plazebo’s und der Zauberhände!“ 

Auch ich nutze MLD, Manuelle Techniken und passive Maßnahmen in meiner Behandlung und zur Diagnostik! 

Ich versuche eben mein „eminentes“ Wissen, mit dem „evidenten“ Neuen zu verbinden. 

Plazebo ist mein Freund! Er kann viel bewirken und eine Therapie positiv Vorantreiben! Wenn also eine Behandlungsmaßnahme „wissenschaftlich“ wenig Wirkung hat, kann sie dennoch überaus wichtig sein für den Patienten.

Ich versuche den jungen Therapeuten von Morgen sehr früh zu vermitteln, wie wichtig die „Zauberhände des Therapeuten“ in einer Behandlung sein können. Die erste Berührung des Therapeuten ist oftmals entscheident für den weiteren Verlauf der Behandlung!

„Sowohl als auch!“ 

– ist mein Motto, meine Überzeugung, die ich lebe und weitergebe! Gebe deinem Patienten, was ihm „gut tut“, aber mache ihn nicht abhängig von deinen „Zauberhänden“! Erkläre ihm, wie er sich befähigt selbstwirksam („selbstheilend“) zu werden! Kombiniere dein „eminentes“ Wissen, deine Erfahrung mit den neusten „evidenzbasierten“ Erkenntnissen! Sei offen und neugierig dich zu entwickeln und Neues zu lernen!

Move.Pause.Smile

Tilla