Schmerz ist ein unangenehmes subjektives Sinnes- und Gefühlserlebnis.

 

Als Physio ist Schmerz mein ständiger Begleiter. Es ist der Hauptantriebsgrund, weshalb meine Patienten, Klienten und Sportler zu mir kommen. 20% aller Menschen haben anhaltende Schmerzen über drei Monate (Butler & Moseley 2017). Weshalb nicht früher um Hilfe bitten?

Schwierig, vor allem weil er wirklich weh tun kann dieser Schmerz! Heute möchte ich deshalb das Thema von verschiedenen Seiten beleuchten:

 

Schmerz ist eine heikle, individuelle und komplexe Leiderei! Beginnen wir doch mal mit ein paar Statements und Gedanken, einem Sammelsorium von Aussagen stichpunktartig zusammengefasst und mit Fragezeichen versehen:

  • Geschlecht?

Sicherlich hast du schonmal von der Männergrippe gehört. Diese ganz spezielle Krankheit, die nur das männliche Geschlecht befällt. Gliederschmerzen und andere Symptome sind doppelt und dreifach so schmerzhaft, wie die einer gewöhnlichen Grippe. Na und, sagen die Frauen! Wer muss denn die Kinder bekommen?

  • Herkunft?

Es scheint, als ob die südländischen Fußballer bei einem fiesen Foul länger am Boden liegen. Ist denn nun der Tritt aufs Schienbein für einen Italiener schmerzhafter wie für einen Isländer?

  • Situation?

Bleiben wir beim Sport. Während des Gewinnens passieren weniger Verletzungen. Spieler verspüren, getragen von den Endorphinen weniger Schmerzen. Der hoffnungslose Verlierer hingegen sucht vergeblich nach den glücklichen Hormonen die den Schmerz in den Hintergrund rücken.

  • Alter?

Braucht ein Kleinkind für ein aufgeschlagenes Knie mehr Zuspruch, weil es so viel schmerzhafter ist wie für einen Erwachsenen? Die Oma, die spürt sowieso nix mehr! Verändert sich Schmerz im Alter?

  • Glaubensätze?

Können Schmerzen aberzogen werden mit Parolen wie: Nur die Harten kommen in den Garten? und/ oder Ein Indianer kennt kein Schmerz!

  • Emotionen, Gefühlen?

Höher, schneller, weiter – Streß in Beruf, Familie und Freizeit. Und gerade dann meldet sich dieser verfluchte Rückenschmerz! Weshalb nicht im Uraub, während des gemütlichen Nichts-Tuns

  • Erlebnisse, Erinnerungen

Schmerzhafte Erinnerungen und Situationen bleiben im Gedächtnis! Die heiße Herdplatte, der Sturz, die schmerzhafte Erfahrung beim Zahnarzt.

2. Schmerz ist komplex!

Sind das nun alles vage Behauptungen, die am Stammtisch platziert werden können oder Fakten? Tatsächlich ist Schmerz subjektiv von Person zu Person verschieden. Geprägt durch Erlebtes, gefüttert mit Glaubenssätzen und gelebt durch den individuellen Umgang wird Schmerz zu einer komplexen Sache!

Neben den Erfahrungen, lassen wir uns von Glaubenssätzen, die den Schmerz bezeichnen beeindrucken. Schon im frühen Alter prägen erste Erfahrungen den Umgang mit Schmerz:

Meinem Sohn wurde kürzlich Blut abgenommen. Natürlich hatte er keinerlei Vorstellung was da gemacht wird. Dennoch verprechen wir ihm eine Belohnung, wenn er tapfer ist und brav stillhält. Nach einem kleinen Pieks und ein paar dicken Krokodilstränchen hat er es geschafft der kleine Indianer! Die Ärztin schenkt Gummibärchen, lobt und verrät:

Wenn die Eltern entspannt sind und aus der Situation kein Aufheben machen, sind es die Kinder auch.

Mein Sohn lernt nun also, das Blutabnehmen ein bisschen schmerzt, aber eine Belohnung auf ihn wartet. Während er seine versprochene Belohnung, in Form einer riesengroße Apfeltasche, in sich hineinstopft stellt sich mir die Frage:

Welche Erfahrung speichert er nun ab?

Welche Art von Glaubenssatz implementiere ich durch mein Verhalten?

3. Ein Indianer kennt kein Schmerz!?

Oder doch? Diese oder ähnliche Sprüche, Glaubensätze werden uns eingebleut. Müssen wir denn tapfer sein? Müssen wir Schmerzen ertragen? Brauchen wir Belohnungen?

Von anno dazumal bleiben folgende Glaubensätze  im Ohr hängen:

Das geht schon noch! Ein Indianer kennt kein Schmerz!

Da muss man halt durch!

Stell dich nicht so an, so schlimm ist es nicht!

Den ganzen harten Indianern sei gesagt: Schmerz ertragen ist OUT!

Dennoch muss nicht jedes Ziepen, Zwicken und Zwacken thematisiert, betrachtet und interpretiert werden! In meiner täglichen Arbeit erlebe ich immer wieder, wie Schmerz aufgebauscht wird, in den Vordergrund rückt und Gesprächsthema Nummer eins wird. 

Frau S. leidet seit geraumer Zeit an Schmerzen im unteren Rücken. Keine Therapie hat ihr bisher geholfen. Sie weiß, das sie dringend abnehmen und auch wieder aktiv tätig sein muss. Das sage nicht nur die Ärzte, das weiß sie irgendwie auch selbst. Früher ist sie immer gerne Schwimmen gegangen.

Letzte Woche ist sie voll Tatendrang direkt zum Schwimmbad gefahren. Der Parkplatz war sehr voll, sodass sie wirklich nur im letzten Eck ein freien Platz gefunden hat. Der Weg bis zur Kasse mit ihrer schweren Tasche war sehr anstrengend. Die Rückenschmerzen waren plötzlich so schlimm, das sie direkt wieder umdrehte und heimfuhr.

Frau S.’s Geschichte ist eine von vielen Geschichten, die ich im Laufe meiner Arbeitsjahre gehört habe. Schmerz kann unser Leben bestimmen und uns wie eine Welle überrollen.  Schier aussichtslose Einschränkungen stehen, wie die meterhohe Betonwand vor den Betroffenen und schränken die Lebensqualität massiv ein. 

Sitzt man im kleinen schmerzhaften Schneckenhaus, dann traut man sich so schnell nicht vor die Tür. Gefangen im eigenen Leid, wird das Schmerzerleben allgegenwärtig. Gefangen in seinem eigene Schmerzurwald, sieht man wenig Lichtes, nur noch Schatten und Unmöglichkeiten. 

Ich rate Frau S. sich einen Rollkoffer zu besorgen, um dem Rücken die schwere Last zu nehmen und so den Weg bis zum Schwimmbad erfolgreich zu bewältigen. 

4. Guter Schmerz, Schlechter Schmerz

Schmerz kann wirklich fies sein!

Wenn Schmerzen Bewegungen einschränken, den Alltag erschweren und Lebensqualität rauben, dann schlägt das auch aufs Gemüt! Somit leidet nicht nur der Körper sondern auch der Geist.

Im Teufelskreis Schmerz vergeht einem das Lachen und die Lust auf Bewegung sinkt weiter! Dennoch ist Schmerz ein wichtiges Warnsignal des Körpers!

Wie eine Alarmglocke weist er darauf hin, das eine Überlastung oder Überforderung vorliegt. Er fordert zum Handeln auf.

Schmerz muss nicht immer eine geschädigter Struktur entspringen oder „DA-WO-ES-WEH-TUT“ seine Ursache haben.

5. Wie entsteht Schmerz?

Schmerz wird am Ort „da-wo-es-weh-tut“ empfunden. Tatsächlich, entsteht Schmerz jedoch im Gehirn, wird da interpetiert,  aus- und aufgebaut. Wie funktioniert das?

Informationen aller Art werden über Sensoren, Rezeptore und Wahrnehmungszentren aufgenommen. Unsere Haut ist z.B. ein riesengroßes Wahrnehmungsorgan. Die verschiedenen Wahrnehmungssamler reagieren auf Zug, Druck, Vibration, auf Temperatur oder chemische Reize.  Alle diese Info’s werden aus dem Körper, zur Schaltzentrale Gehirn gesendet. Über alte Hirnareale werden sie weitergeleitet und im Mittelhirn ausgewertet, gefiltert, interpretiert. Erfahrungen und Erinnerungen werden mit ergänzt, verknüpft und eingespeist in die daraus resultierende Antwort.

Dein Gehirn hat eine simple Aufgabe und muss dementsprechend reagieren: Es muss zu jederzeit entscheiden, ob dem Körper Gefahr droht und ob er geschützt werden muss. Diese Entscheidung fällt dein Gehirn, ohne das du wirklich dazu befragt wirst. Denn die wichtigste Aufgabe deiner Schaltzentrale ist es, Sicherheit zu gewährleisten.

Droht Gefahr oder ist etwas durch mangelnde oder schlechte Informationen nicht sicher, reagiert der Körper mit einem Gefahrenfilter. Zum Schutz werden Bewegungen veringert/eingeschränkt, Muskeltonus erhöht, Herzschlag und/oder Atmung angepasst oder eben Schmerzen als Wanrsignal generiert.

Eigentlich ein gutes System, das durch dein Gehirn dort zum Selbstschutz hochgefahren wird. Leider ist die Auswertung des Gehirnes bezüglich der Gefahr für deinen Körper und seine Antwort oftmals in keinem Verhältnis zu den eingehenden Informationen.

Natürlich gibt es die strukturellen Verletzungen und Schädigungen, die eine große Gefahr für den Körper darstellen. Hier ist der Gefahrenfilter und die Antwort deines Gehirns absolut notwendig und sinnvoll. Tatsächlich sind strukturelle Schädigungen jedoch weitaus geringer, als oftmals vermutet.

6. Höre den Schmerz!

Ein echtes Dilema für den Physio, aka Heiler und Helfer, dieser Schmerz! Immer wieder aufs Neue zeigt er sich von einer anderen Seite und fordert: Zuhören, reinspüren, mitfühlen und gleichzeigtig soweit auf Abstand bleiben, um mit klaren Gedanken Lösungen zu finden.

Denn nicht ist schlimmer, wenn dein Schmerz nicht ernst genommen wird!

Oder?

Schlimmer ist jedoch, wenn aus jedem Schmerz ein Elefant gemacht wird!

Als Dozentin lehre ich in der physiotherapeutische Befundaufnahme Schmerz zu charakterisieren, skalieren und thematisieren. Durchaus richtig und wichtig! Dennoch sollte es nicht im Vordergrund des Patientenbefundes stehen. Ziele sollten sich nicht am Schmerzlevel orientieren, sondern an der neu gewonnenen Möglichkeit sich zu bewegen!

Dieser kleine, feine Unterschied beinflusst das Schmerzlevel des Geplagten auf ganz natürliche Weise. Denn mit zunehmender Mobilität steigert sich die Selbstwirksamkeit und mit das das Lebensgefühl und der positive Mindset!

Im Gehirn reduziert sich der Gefahrenfilter. Situationen die unsicher schienen und Schutzreaktionen des Körpers als Antwort nutzten, werden entspannter und weniger gefährlich angenommen. auch der Schmerz ist eine dieser Schutzantworten des Körpers und kann so reduziert werden.

7. Chronischer Schmerzteufelskreis

Aber was wenn der Schmerz NICHT nachlässt?

Nicht jeder Schmerz ist ein Elefant, aber anhaltende Reize können zum Elefanten werden!

Ein chronischer Schmerzteufelskreis entsteht:

Anhaltende Schmerzreiz hinterlassen Spuren im Gehirn. Das sogenannte Schmerzgedächtnis entsteht, wenn Nervenzellen, die Reize aufnehmen und weiterleiten, unentwegt feuern. Hierbei werden auch Schmerzsignale/Reize gesendet, obwohl die ursprüngliche Reizursache längst hinlänglich ist. Es tut einfach immer noch weh! 

Bald wirst du in der Speakers Corner einen sehr anschaulichen Patientenbericht über genau dieses Thema zu lesen bekommen!

Bis dahin, höre mal in dich, wenn es das nächste Mal zwickt und zwackt. Schau mal, ob Bewegung jeglicher Art dein Schmerz verändern kann!

Schmerz lass nach! – was hilft denn nun gegen diesen Schmerz? Mehr dazu erfährst du in Kürze hier auf meinem Blog.

Move.Pause.Smile.

Tilla

Butler & Moseley 2017; Explain Pain Supercharged.