Neuro-WAS?

Ob du es glaubst oder nicht, Biceps Curls sind Schnee von Gestern! Zungen rollen, Augenliegestütze und Hände kreisen sind der neue Trend im Leistungssport.

In Deutschland ist neurobasiertes Training unter dem Name Neuroathletik bekannt geworden. Lars Lienhards Pionierarbeit auf diesem Gebiet, hat nicht nur Gnabry’s Torschussquote angehoben, sondern auch Alex Zverev zur olympischen Goldmedaille verholfen!

Ein Modetrend der Trainingswelt? Hokuspokus? Oder steckt hinter dem Training fürs Gehirn mehr?

Dieser Blogbeitrag gibt eine kurze Einführung in den großen neurowissenschaftlichen Arbeitsbereich: 

Bisher hat sich Training auf den sogenannten Output konzentriert. Durch gezielte Übungen, sollen Muskeln, Sehnen, Bänder, Knochen und Bindegewebe größer, fester, stabiler gemacht werden. Eben alles, um Bewegung zu ermöglichen und Leistung zu erbringen.

Ohne die Nerven, die dieses Ausführungsgewebe, ähnlich wie ein elektrisches Kabel mit Strom versorgen, bewegt sich nichts. Der Befehlsgeber, das kleine Männchen, das über die Stromzufuhr entscheidet, ist hierbei das Gehirn. Bevor jedoch Befehle geben werden, bedarf es einen verdammt guten Grund, um in Bewegung zu kommen.

Anreize für Bewegung werden aus der Umgebung generiert. Der Körper reagiert auf Sinneseindrücke:

    • Ich sehe ein feines Eis, das ich gerne in die Hand nehmen und Essen möchte.
    • Ich höre einen lauten Knall, der mich aufschrecken lässt.
    • Ich schmecke ein stinkenden Käse, der mich das Gesicht verziehen lässt.
    • Ich fühle eine sanfte Berührung, die ich gerne zurückgeben möchte.
    • Ich rieche einen feinen Duft, der mich zum Lächeln bringt.

Neben umfassenden Informationen aus der Umwelt, verfügt der Körper selbst über Meldesysteme, die pausenlos wichtigen Input an den Bordcomputer Gehirn senden:

    • Sensoren in Gelenken, Sehnen und Muskeln geben genaue Auskunft um Bewegungen zu ermöglichen und ständig zu optimieren
    • das Gleichgewichtsorgan im Ohr informiert uns über Lageveränderungen im Raum
    • sogar aus unseren Organen bekommen wir ständig Informationen, wie beispielsweise wenn das Essen gesättigt hat, wann der Herzschlag beschleunigt werden muss oder Schweiß zur Temperaturregulation genutzt wird.

 

Der Gefahrenfilter

Unser Gehirn ist also der maßgebliche Dirigent im großen BewegungsOrchester.

Es entscheidet, welche Musik, wie gespielt wird.

Dabei bestimmt das Gehirn welcher Muskel aktiviert wird, wie schnell dein Herzschlag und deine Atmung gehen soll, wann die Verdauung eingeschaltet wird und welche Gedanken und Emotionen du fasst und erlebst. 

Grundsätzlich hat unsere Schaltzentrale Gehirn jedoch nur eine wichtige Aufgabe: 

Über allem steht die Überlebenssicherung.

Jede eingehende Information wird genau geprüft, mit alten Erfahrungen abgeglichen, eine Prognose erstellt, um schließlich einen Handlungsbefehl zu initiieren. 

Eingehende Informationen müssen zuerst über den Hirnstamm, eine Gefahrenschranke passieren. Hier wird jede Information geprüft: Wie sicher ist das was ich tue? 

Viele, gute, brauchbare Informationen sind für das Gehirn sicher. Hiermit kann eine gute Prognose erstellt und eine dementsprechend gute, umfassende Antwort geben werden. Liegen wenig, unzureichende Informationen vor, reagiert das Gehirn auf diese unsicheren Quellen mit entsprechenden Schutzmaßnahme: 

  • Bewegungen werden reduziert
  • Gewebstonus erhöht
  • Schmerzen als Warnsignal ausgesendet
  • Atmung, Herzschlag und andere interne Prozesse ( z.B. die Verdauung, das Immunsystem) entsprechend reguliert

 

Input – Praktische Tipps

Viele, brauchbare Informationen fördern optimale, schmerzfreie Bewegung! 

Mit dieser Erkenntnisse stellt sich jetzt nur noch die Frage, wie wir MEHR, GUTE Informationen generieren können?!

Hier ein paar praktische Tipps, wie du auf neurobasierter Grundlage dein Gehirn füttern kannst: 

Der Fuß als unerschöpfte Quelle an Informationen

Unsere Füße übermitteln alleine mit der Fußsohle eine Menge gute und wichtige Infos ans Gehirn.

          • Gehe also immer wieder barfuß durch das Leben! Erlaube deinen Füßen Unebenheiten und verschiedene Untergründe zu entdecken.

In den vielen Gelenken und Muskeln des Fußes sitzen Sensoren, die Input aufnehmen und weiterleiten.

          • Übe im Einbeinstand auf Zehenspitzen; greife und spreitze deine Zehen; erlaube den vielen kleinen Gelenken des Fußes in Bewegung zu kommen.

Deine Augen als neugieriger Beobachter

Unser visuelles System empfängt dauernd zahlreiche Informationen, die zur sicheren Prognose und zur Feinkoordinierung von Bewegung unfassbar wichtig sind. Bevor du jedoch deine Augen gewinnbringend nutzt, gönne ihnen eine kleine Pause. Unsere visuelle System ist durch die Nutzung von Computer, Fernseher, Handys und Co. stark beansprucht: 

Schließe deine Augen und lege die Handballen in deinen Augenhöhlen. Lass Dunkelheit einkehren. Spüre die Temperatur und die Berührung deiner Hände. Bleibe hier für ein paar Atemzüge in Stille, mit dem Fokus ganz bei dir. Löse dann langsam die Hände von den Augen. Nimm wahr, wie hinter den geschlossenen Lidern Licht und Schatten spielen. Vielleicht spürst du noch der Berührung deiner Hände nach. Öffne langsam die Augen. Lass dir Zeit. Nimm erstmal nur Umrissen und Licht war. Lass alles langsam wieder Konturen und Formen annehmen. 

Nun kannst du in dein Augentraining starten: 

        • Fixiere einen Punkt in der Ferne. Versuche nun mit deinem peripheren Sichtfeld die Umgebung wahrzunehmen, ohne den Fokus von dem Punkt zu verlieren. Versuche den Punkt immer klar und scharf zu sehen. ( Wenn diese Übung für dich einfach ist, versuche das ganze in Bewegung: beim Gehen, Joggen, Radfahren…)
        • Bewege deine Augen in alle Richtungen ohne den Kopf und den Hals zu bewegen. 
        • Strecke deinen Arm direkt vor dir aus und fixiere deinen ausgestreckten Daumen ( er sollte auf Höhe der Nase stehen!). Führe den Daumen nun langsam zu deiner Nasenwurzel. Gehe nur soweit, wie du den Daumen klar und scharf sehen kannst. 

Die Atmung als Freund und Helfer

Eine tiefe und volle Atmung beeinflusst dein vegetatives Nervensystem. Ein autonom gesteuertes System, welches aktivierend oder dämpfend auf den Körper wirkt. Gerade wenn Schutzmechanismen wie Schmerz und Verspannungen in Form von erhöhtem Gewebetonus vorherrschen, ist die Atmung ein prima Werkzeug. Ein gedämpftes vegetatives Nervensystem vermittelt dem Gehirn, dass seine prognostizierte Gefahr gar nicht so groß ist und die Situation nicht so massive Schutzmechanismen braucht. Nutze also diesen hilfreichen Atem: 

        • Gönne dir immer mal wieder ein paar bewusste, tiefe Atemzüge. Wenn es dir hilft, zähle deine Ein- und Ausatemzüge. 
        • Lenke die Atmung bewusst an Stellen, an denen Spannungen herrschen. Ist das schwierig? Dann lege deine Hände dorthin und versuche zu den Händen zu atmen. 
        • Atme tief und voll in den Brustkorb. Fokusiere dabei die Atembewegung der unteren Rippen. Lasse die Rippen nach vorne, außen und hinten (3D) öffnen mit der Einatmung. Ausatmend, beobachte wie sich die Rippen entspannen und absinken. 

 

Die obere Halswirbelsäule Lage- und Stellungsinformationen

Gelenke und Muskeln der oberen Halswirbelsäule liefern eine Menge Informationen auf kurzem Weg zum Gehirn. Und irgendwie hängt alles zusammen, denn dieser anatomisch so wichtige Bereich steht im engen Kontakt und Austausch zur Ausrichtung unsere Augen und des Gleichgewichtsystems. Auge und das Gleichgewichtsystem im Innenohr wollen horizontal ausgerichtet sein, damit immer und überall ein optimaler Informationsfluss stattfinden kann.  Optimale Stabilität und freier Bewegungsausmaß der Halswirbelsäule ist also extrem wichtig für die Informationsaufnahme:

        • Schiebe dein Kinn weit nach vorne und ziehe es dann zu einem kleinen Doppelkinn ein. Neige den Kopf nach links und rechts, sodass deine Ohren näher zur jeweiligen Schulter kommen. Drehe den Kopf soweit es geht nach rechts und links hinten.
        • Richte den Kopf so aus, das die Halswirbelsäule lang in Verlängerung der Wirbelsäule kommt. Mache ein kleines Doppelkinn, halte dabei aber die Augen horizontal ausgerichtet. Nimm nun deine linke Hand und drücke sie gegen die linke Schläfe. Halte den Kopf, gegen den Widerstand in der Mitte,.
        • Bewege den Kopf mit leichtem Doppelkinn in Diagonalen nach rechts vorne/unten – links hinten/oben. Nutze die Nasenspitze als Orientierung. Wechsel die Seite: Diagonale links vorne/unten nach rechts hinten/oben.

Neuroplastizität

“ Ich bin zu alt um noch etwas zu lernen!“

Dieser Fakt ist tatsächlich überholt. Dank der aktuellen wissenschaftlichen Forschung ist klar:

Das Gehirn lernt nicht aus. Besser noch: es ist in ständiger Veränderung. Wenig oder ungenutzte Areale werden runtergefahren, um Energie zu sparen. Denn unser Gehirn braucht jede kleinste Sekunde Unmengen an Energie!

Spannende Erkenntnisse sind aus den verschiedensten neurowissenschaftlichen Forschungen bekannt:

    • Mütter fahren Hirnareale, die zur Hege und Pflege des Babys wichtig sind, hoch, während andere Bereiche gedrosselt werden können.
    • Auf der „Gehirnlandkarte“ sind Bereiche, die für Handwerker oder Musiker wichtige Umschaltstellen sind, extrem ausgebildet und aktiv.
    • Werden Bewegungen vermieden oder nicht mehr regelmäßig ausgeführt, spart das Gehirn Verschaltungen und motorische Muster ein, um energetisch umzuverteilen auf benötigte Bewegungsmuster.

Was könne wir also aus diesen Beispielen lernen? 

Unser Gehirn ist der entscheidende Dirigent, wenn es darum geht eine körperliche Antwort zu generieren. Es arbeitet energetisch je nach Anforderung und eingehender Information. Präzise Antworten des Gehirns in Form von z.B. Bewegung, benötigen ein hohe Hirnaktivität und schnelle Verschaltungen der einzelnen Areale. Stellt man sich das Gehirn wie ein großes Verkehrsnetz vor, dann werden in stark beanspruchte Hirnareale, neben wichtigen Hauptstraßen, viele Umgehungsstraßen angelegt, um einen optimalen Verkehr zu ermöglichen. Wird das Hirnareal wenig angefahren, dann wird platzsparend (=energiesparend) umgebaut, Straßennetze so ausgebaut, wie sie benötigt werden.

Ganz schön clever!

Aber auch wichtiges Wissen für Therapie und unseren Alltag. Viele älteren Menschen denken, sie halten sich fit im Kopf , wenn sie Kreuzworträtsel oder  Sudoku lösen. Tatsächlich ist ihr Gehirn hierbei aktiv, jedoch wiederholt es eigentlich ständig nur wiederkehrendes Wissen. Ein umfassendes Gehirntraining benötigt neue Herausforderungen, in Form von neuem Wissen. Das Erlernen einer neuen Fremdsprache im Alter ist z.B. eine echte Herausforderung und hält das Hirn auf Trab.

In jungen Jahren – bis zum Berufsabschluss wird unser Gehirn immer wieder mit neuem Wissen gefüttert und auch herausgefordert sich zu verschalten und optimieren. Häufig ist mit Eintritt in den Beruf diese intensive Phase des Lernens beendet. Im Berufsalltag wird viel Gewohntes abgerufen. In neurowissenschaftlichen Forschungen ist dieser Lebensabschnitt geprägt von wenig neuroplastischer Veränderung.

„Use it or lose it!“

Energetische Einsparungen umfassen hierbei altes Gelerntes, das nicht mehr regelmäßig gebraucht wird, wie z.B. eine Fremdsprache, die in Schulzeiten gelernt, jedoch nun nicht mehr genutzt wird. Genau so verhält es sich jedoch auch mit körperlichen Anforderungen:

Kinder verfügen über eine Vielzahl von Bewegungsmustern, die wir Erwachsene nicht mehr abrufen können. 

Wann hast du das letzte Mal einen Purzelbaum gemacht? Lange her? Ein jetztiger Versuch löst vielleicht Schwindel aus? Lieber nicht mehr machen, denn dafür bin ich zu alt! Tatsächlich NICHT! Dein Körper ist an die schnelle Lageveränderungen nicht mehr gewöhnt. Mit regelmäßiger Wiederholung aktivierst du wieder das Muster „Purzelbaum“, die benötigten Umgehungsstraßen werden gewinnbringend ausgebaut und genutzt. 

Vermeiden statt erlernen und wiederholen!

Tatsächlich forderst du dein Gehirn mit jeder Bewegungsaufgabe, die ausserhalb deines gewohnten „Bewegungsrepertoirs“ liegt. Natürlich gilt auch hier: Schritt für Schritt steigern. Fordern aber nicht überfordern

Versuche es selbst einmal: Train your Brain! 

Komme in Bewegung! 

MOVE PAUSE SMILE

Literatur zum Eintauchen in die Neurowissenschaft: 

Neustart im Kopf. Norman Doidge

Training beginnt im Gehirn. Lars Lienhard

Neuronale Heilung. Lars Lienhard

Z-Health. Dr. Eric Cobb